Theater Ticino – Wädenswil
Samstag, 19. März 2022
Text: Cyril Schicker
Nach jahrelanger Durststrecke kulturell über den Durst zu trinken, ist die beste Medizin gegen Kunst-Dehydration, gibt einen tierischen Suff – aber keinen Kater am Tag danach. Doch was genau ist passiert?
Das ist passiert: Das ebenso geniale wie vitale Duo Pigor & Eichhorn gastierten vom 17. bis und mit 19. März 2022 im renommierten Theater Ticino in Wädenswil. Mitgebracht haben sie Kleinkunst ganz gross, damit verbunden eine schier unerschöpfliche Spielfreude – und mit dem „Volumen X“ ihr neuestes Programm.
Ein sehens- und hörenswertes Programm: facettenreich, reich an Unterhaltung, reich an intellektueller Herausforderung, reich an Freudetränen, reich an Humor, reich an Spass, reich an Wow-Effekten, reich an Publikumsnähe und -ekstase, reich an Zugaben.
Das zehnte Volumen-Programm geht voll auf die Zwölf. Mal ist im Zankapfel der politische Wurm drin. Mal rollt der Stein des Anstosses über die Liedermacher-Ambitionen Pigors. Dann wiederum drückt der Rollenverteilungsschuh.
Pigor & Eichhorn streiten sich und sabotierten einander, nur um dann wieder in bester Manier zu harmonieren. Er, der Tastenknecht, der virtuoser nicht sein kann (Eichhorn). Er, die (sprech-)singende, sprachbegabte, steppende, tänzelnde, Gitarren spielende Frontsau, die niveau-voller und vielfältiger nicht sein kann (Pigor).
Gegeneinander und miteinander hieven Pigor & Eichhorn Blattdeutsch aus der Versenkung und verwenden es als Allerweltsheilmittel gegen den unsäglichen Genderisierungswahn. Lachend, singend, dozierend torpedieren sie das Publikum mit hochkarätigen Argumentationstheorien („argumentum ad hominem“, „argumentum ad verecundiam“, „argumentum ad baculum“ & Co.) – und verknüpfen diese stilecht und echt kabarettistisch.
Vom ersten Takt an verstehen es Pigor & Eichhorn, das Publikum für sich zu gewinnen. Mehr noch, das Publikum fiebert und feiert regelrecht mit – und lässt sich nur zu gerne auf einen x-malklugen Parcours durch die Stolperfallen der Rhetorik entführen. Obendrauf lassen sie sich scharfsinnige Analysen der Grenzen moderner Salonfähigkeit wie exquisite Weintrauben zu Munde führen: anstandslos, mit offenen Mäulern, genuss- und erwartungsvoll.
Das alles ist wunderbar bar jeder Vernunft: balladesk, clownesk, kafkaesk – pigoresk. Das alles ist, wie gesagt, Kleinkunst ganz gross. Und es ist Kleinkunst vor allem für Gross, aber doch eben auch für Klein. Meiner 9-jährigen Tochter hat es verdammt viel Spass gemacht. Die anfängliche Aufregung ist nachträglicher Freude gewichen. Ein prägendes Erlebnis, auch für mich. Und für grosse Kunst bist du nie zu klein. Oder zu jung.
PS: Im Januar 2023 gastieren Pigor & Eichhorn mit Ensemble im Theater Ticino. Nur Bestes ist zu erwarten – oder besser gesagt ein Best-of ihrer inzwischen fast schon 30-jährigen Pigor-&-Eichhorn-Karriere.
Foto: Thomas Nitz