Nouveau Monde – Fribourg
Donnerstag, 19. August 2021
Text: David Spring
Lange ist es her, dass ich mich in einer surrealen Situation befand. Ein Raum voller Menschen, allesamt ohne Maske. Freudige Erwartung lag in der stickigen Luft, man stand nahe aneinander, aber nicht zu nah. Etwas Verunsicherung war zu spüren; durften wir das wirklich? Dann auf einmal ging das Licht aus, alle Köpfe drehten sich in Richtung Bühne und auf einen Schlag die Realisation: ich bin tatsächlich an einem Konzert!
Die Bühne betrat niemand geringeres als der holländische Folk-Troubadour Tim Vantol. Das Noveau Monde in Fribourg war nicht ganz, aber durchaus gut gefüllt, bei allen Fans dieser leicht verunsicherte, aber freudige Gesichtsausdruck. Tim Vantol brauchte nicht lange, um alle Anwesenden in seinen Bann zu ziehen. Die frischfröhlichen Gitarrenakkorde und seine beeindruckende Stimme überzeugten sofort und machten Stimmung.
Neben einem gewaltigen Stimmorgan überzeugte der gebürtige Amsterdamer vor allem durch seine sympathische Art. In der Begrüssung versuchte er sich mit etwas Französisch und freute sich darüber, dass wir alle hier seien, obwohl er ja „just the fucking support-guy“ sei. Um dann festzustellen, ob die anwesenden Fribourger*innen nicht nur physisch, sondern vor allem auch unterstützungstechnisch ready waren, stimmte Vantol zugleich das unsterbliche „500 Miles“ an. Wie nicht anders zu erwarten, verhaute das Publikum den Mitsing-Einsatz so komplett, dass Tim laut lachend abbrechen musste. Wie war das schon wieder mit der Aufgabe des Publikums?
Es folgten neue und alte Stücke und die Stimmung im Nouveau Monde wurde immer besser. Auch Vantol selbst war bester Laune und er lud immer wieder zu Mitsingspielchen und allgemein aktiver Teilnahme ein. Als sich in der ersten Reihe ein angereistes Pärchen aus Barcelona bemerkbar machte, sang er „Nothing“ spontan auf Spanisch weiter. Nach einer sehr herzerfüllten Ansage, in der er sich beim Team des Clubs, allen Techniker*innen und allen Anwesenden bedankte, folgte ein Cover des Bruce-Springsteen-Hits „The River“. Danach schaltete Tim Vantol seine Gitarre aus und trat vom Mikrofon weg. Das wunderschöne „Bitter Morning Taste“ erklang in akustischem Gewand, was dem intimen Song nochmals mehr Verletzlichkeit und Gänsehautfeeling verlieh. Nach einer Stunde war Schluss, auch wenn das Fribourger Publikum gerne noch mehr gehört hätte. Nun war es Zeit für den Hauptact des heutigen Abends: Joey Cape.
Der Lagwagon-Frontmann betrat die Bühne unspektakulär. Gitarre umgeschnallt, ein verschmitztes und leicht verwirrtes Lächeln und dann ging es mit „Errands“ los. Es war spannend zu sehen, wie unterschiedlich zwei Künstler, die ähnliche Musik machen, sein können. War Tim Vantol noch energiegeladen und positiv, so wirkten Joey Capes Art wie auch Songs viel introspektiver, nachdenklicher und tiefschürfender.
Seine Stimme markant und zerbrechlich, die Akkorde minimalistisch und die Stories grundehrlich und nachdenklich. Der blieb Amerikaner stets nachfühlbar und ehrlich, nie zu prätentiös oder unglaubwürdig. Nach der Powershow von Vantol brauchte es ein wenig, um sich an diesen neuen Vibe zu gewöhnen. Auch die verhaltene Begrüssung, in der Cape gestand, dass er sich in einem Saal voller maskenloser Menschen nicht sehr wohl fühlte, führe dazu, dass Künstler und Publikum erst miteinander warm werden mussten. Doch Joey Cape wäre nicht, wer er ist, wenn er sowas nicht perfekt im Griff hätte. Spätestens nach „Going For The Bronze“ und dem fröhlich-melancholischen „It’s Always Sunny“ schwangen alle wieder auf derselben Welle mit. Die Stimmung im Publikum wurde ausgelassener und wilder.
Herr Cape war nicht allein unterwegs, mehrere Songs wurden von Tobias Weindorf am Piano begleitet. Die beiden Musiker kannten sich zwar noch nicht so gut, war es doch erst das sechste gemeinsame Konzert, aber spätestens als Tobias mit den Worten „For all I know he could be Jeffrey Dahmer but so far he’s nice“ vorgestellt wurde, war klar, dass die Harmonie stimmt. Interessant waren die Songs von Joey Capes neuem Album „A Good Year To Forget„. Obwohl dieses bloss wenige Tagen vor dem Konzert erschien, fühlten sich die dargebotenen Akustikversionen bereits an, als wären sie nie anders aufgenommen worden. Daran merkte man einmal mehr, was für ein hervorragender Künstler und Songschreiber Cape ist.
Die Tatsache, dass Live-Musik endlich wieder stattfinden kann, stellte jede Traurigkeit über meinen verfrühten Abzug zum Glück in den Schatten. Joey Cape überzeugte mit seinen wunderschönen, tiefgründigen Songs und einer guten Portion Humor. Der heimliche Star des Abends war Tim Vantol. Seine energiegeladene Show und sympathische Art waren genau das, was es brauchte, um das neue Konzertzeitalter einzuläuten. Ich kann mich darum seinem Sentiment auch nur anschliessen und mich bei allen bedanken, die diesen Abend möglich gemacht hatten.
Setlist Tim Vantol
1. Till The End
2. Tell Them
3. Broken Mirror
4. Lost In The Unknown
5. 5 Inch Screen
6. It’s Gonna Hurt
7. Forgiveness
8. Nothing
9. Caged Birds
10. If We Would Know
11. The Hardway
12. The River (Bruce Springsteen Cover)
13. Bitter Morning Taste
14. If We Go Down, We Will Go Together!
Setlist Joey Cape
1. Errands
2. This Life Is Strange
3. Going For The Bronze
4. It’s Always Sunny
5. Moral Compass
6. Possession
7. Burning Out In Style
8. Who We’ve Become
9. Twenty-Seven
10. It Could Be Real
11. Saturday Night Fever
12. A Good Year To Forget
13. The Love Of My Life
14. I Know How To Run
15. Let Me Know When You Give Up
16. I Must Be Hateful
17. Making Friends
Zugaben
18. Violins
19. International You Day (No Use For A Name Cover)