16. April 2021
Im Gespräch mit: Andreas Brügge (Schlagzeug) von Broilers.
Foto: Robert Eickelpoth
Vor einer Woche ist mit voller Liebe und Kraft voraus das neue Werk der deutschen Band Broilers in gewohnter Punk-Rock-Manier erschienen. „Puro Amor“ heisst es und Schlagzeuger Andi Brügge nahm sich Zeit, um uns, modern und digital via Zoom ein paar Fragen zum Album zu beantworten. Die vielseitige Platte erzählt Geschichten über zwischenmenschliche Beziehungen, die Herausforderungen des Lebens, von Höhen und Tiefen. Ausserdem konnten wir im Gespräch die ein oder andere zusätzliche Anekdote erfahren.
Madeleine: Wie geht es dir?
Andi: Soweit ganz gut. Im Moment sind wir alle halbwegs entspannt und warten was da kommt.
Macht euch den Release einer neuen Platte nach all den Jahren immer noch nervös? Bleibt dies ein spezielles Ereignis oder wird es zur Normalität?
Nein, das ist immer noch aufregend. Wenn man so viel Zeit mit einem Album oder mit den Liedern verbringt und verbracht hat in den letzten Jahren, dann ist man aufgeregt. Was die Leute sagen werden, wie es ankommt, ob alles gut geht. Es bleibt spannend.
Wie ein Kind, das heranwächst.
Genau. Es ist viel dabei, was uns persönlich wichtig ist. Zwei Freunde von uns sind verstorben, ganz unerwartet während der Album-Aufnahme. Da sind mehrere Lieder dabei, die es behandeln. Man natürlich gespannt und hat ein bisschen Bammel, wie solche Lieder aufgenommen werden und was damit passieren wird.
Erzähl uns doch über jeden Song kurz etwas. Ihr seid für „Puro Amor“ eurem Stil ziemlich treu geblieben.
Generell ist das so, dass wir unseren Fuss immer im Punk-Rock drin haben. Das wird so bleiben. Wir haben sehr früh angefangen, uns rechts und links anzugucken, was es sonst noch an Musikstilen gibt, die wir gerne mögen. Da haben wir mittlerweile ein Musikschrank oder Küchenschrank voll mit verschiedenen Genres, aus denen wir uns immer mal gerne bedienen. Wenn es eine Schublade gibt, in die man uns packen kann, dann sicher Punk-Rock, mit einer breiten Masse an Einflüssen.
„Nicht alles endet irgendwann“ ist ein gelungener Album-Opener.
Die Zeile „Jugendliche von Vierzig Jahren“ war als erstes da, weil es ein Widerspruch und irgendwie lustig ist. Die Idee dahinter ist, dass man das innere Kind trotz Älterwerden bewahrt. Wir machen weiter wie die letzten 25 Jahre und sind noch nicht soweit, etwas gemächlicher zu werden. Von daher hat es als erstes Lied gut gepasst, mit dem Einstieg mit den Bläsern. Uns war wichtig, dass das Album mit einem Knall losgeht.
Mit 40 Jahren ist man ja Mitten im Leben.
Es ist immer schwierig, lustige Lieder zu schreiben, ohne ins Alberne abzudriften. Sammy (Amara, Gesang und Gitarre) schreibt die Texte und er hat sich etwas schwergetan, hier den Weg zwischen dem Albernen und Ernsten zu finden. Mit ein, zwei Textänderungen, die im letzten Moment passiert sind, ist das gut gelungen.
„Nach Hause kommen / Zurück zu mir“ folgt. Ist der Titel als „zurückkommen zu mir“ gemeint, oder ist eine Unentschlossenheit zwischen den zwei Sätzen?
Das kann jeder für sich selbst entscheiden. Uns ist wichtig, dass wir nicht jeden Titel oder Text erklären. Wir lassen immer viel Freiraum für Interpretation. Das Lied ist im weitesten Sinne ein Liebeslied über einen Verlassenen. Wer gegangen ist, ob er gestorben oder einfach verschwunden ist, weil er keinen Bock mehr hatte, das bleibt offen.
„Gib das Schiff nicht auf“ war die erste Singleauskopplung des Albums. Ein sehr passendes Lied zur momentanen Situation und ein grossartiges Video.
Eigentlich wollten wir letztes Jahr im Sommer auf Tour gehen und für diese Konzerte hatten wir einen sehr schönen Trailer gedreht. Wir sind mit einem Kamerateam nach Italien gefahren, ähnlich wie beim Video, wofür wir die Ideen später aufgegriffen und weitergeführt haben. Ronald war im Trailer in Italien auf einer Olivenölplantage, sass auf seinem Olivenölhain und hat in den Tag hineingelebt. Im Video ist er der Obdachlose, der am Rhein haust. Die Story ist im Verlauf ähnlich, wir treffen uns alle wieder und spielen ein Konzert. Allerdings ohne Publikum, gedreht in einem Steinbruch. Irgendwie harmoniert die Story von «Gib das Schiff nicht auf» sehr gut im Kontext zu Corona, ist aber vor dem ersten Lockdown entstanden. Das Lied war als Beziehungslied gedacht, Sammy hat es nach einem Streit im Proberaum geschrieben.
„Porca Miseria“ heisst der nächste Song
Das Lied ist ebenfalls vor der Pandemie entstanden. Es handelt davon, dass generell die Zusammengehörigkeit den Bach runter geht. Überall erstarkten Rechtspopulisten, welche Grenzen hochgezogen haben, einerseits in den Köpfen der Menschen, aber auch geografisch. Wir proklamieren im Song das Zusammenleben.
Was ist mit dem „Alter Geist“?
Dieses Lied ist am experimentierfreudigsten, mit dem Elektrobeat und ein bisschen abseits von dem, was wir sonst machen. Es ist eine musikalische Spielerei, die uns sehr wichtig ist und den Reiz des Albums ausmacht.
„Trink mich schön“ kommt mit einer Reggea-Untermalung daher. Was ist die Message dieses Songs?
Wir hatten das Bild vom Film mit Karl Dall, «Sunshine Reggea Of Ibiza», vor Augen und dessen Soundtrack. Wir haben überlegt, ob wir am Ende noch weiter aufgehen, aber es fühlte sich richtig an, wenn dich der Song so von vorne bis hinten umarmt und einlullt. Der Text handelt von einer Erinnerung an unsere Stammkneipe von früher in Düsseldorf. An die Gäste dort, welche tagelang am Tresen sitzen und Bier trinken.
Der „Schwer verliebe Hooligan“ – wer ist das?
Viele mutmassen, dass es die Weitererzählung eines früheren Songs ist. Wir hatten auf einer frühen Platte ein Lied namens «Paul der Hooligan», den Song spielen wir heute immer noch live. Es handelt von einem Schulfreund von uns, der als Teenager gesagt hat, er würde gerne Hooligan werden. Aber ob dies die Fortsetzung ist? Es handelt bloss von einem schweren Jungen, der sich verliebt hat und andere Hobbies als den Fussball entdeckt.
Ist die „Diktatur der Lerchen“ ein politisches Lied?
Tatsächlich interpretieren das alle Menschen unterschiedlich. Es gibt welche, die das Lied eher politisch finden oder solche, die den Wunsch darin sehen, einfach lange ausschlafen zu können und nicht jeden Morgen zur Arbeit zu müssen. Musikalisch ist es auf jeden Fall einer der Songs, der am meisten nach vorne geht und am ehesten dem entsprechen, was wir als Broilers schon lange machen.
„Da bricht das Herz“, welches genau?
Einer meiner Favoriten, ich mag sehr gerne, wenn es ruhig und beschwingter losgeht, aber am Ende doch zackig wird. Textlich wie musikalisch.
„Dachbodenepisoden“, greift die Thematik der Verwurzelung und Hinterlassenschaften auf.
Man schwelgt gerne in Erinnerungen. Aber letzten Endes müssen alle weiter nach vorne schauen und den Weg weitergehen. Das ist immer besser, als sich rückwärtsgewandt zu bewegen, trotz grossartiger Erinnerungen. Diesen Zwiespalt greifen wir mit dem Lied auf.
„Alles wird wieder Ok“ – auch dieser Song passt wieder sehr gut zur momentanen Situation.
Der Grundgedanke von Sammy war das Miteinander zwischen den Menschen, dass man sich selbst Mut macht, egal in welcher Situation.
Wie weit seid ihr mit dem Video?
Unser Kamerateam ist unterwegs, welches durch Deutschland, Österreich und die Schweiz reist. Dort filmen sie bei verschiedenen kleinen Firmen, Kiosken, Clubs, aber auch in Handwerksbetrieben oder Selbständigen. Diese hatten sich bei uns beworben und das Kamerateam macht kleine Beiträge, welche wir für das Video verarbeiten.
„Niemand wird zurückgelassen“, von welcher Thematik handelt dieses Lied?
Wie du merkst, reden wir nicht so häufig über den Inhalt der Lieder. Wir sagen eigentlich immer, dass jede*r selbst schauen soll, wie er/sie ein Lied versteht. Aber generell geht es um die Leute, welche man als Verlierertypen abstempelt, ohne zu bedenken, dass jeder von uns ein Teil der Gesellschaft ist und dazugehört.
Wer sind „Alice und Sarah“?
Eigentlich ist das ein Lied über die in der Schweiz lebende AfD-Politikerin Alice Weidel und ihre Lebensgefährtin. Sozusagen unsere Ansprache an ihre Partnerin: „Hol mal deine Frau ab, sie redet zu viel rechten Schwachsinn.“
Dann last but not least „An all den anderen Tagen (lebe, du stirbst)“ – eine Hommage an das Leben?
Dieses Lied haben wir für unsere verstorbene Freunde geschrieben. Das war nicht leicht, ich bin mir nicht sicher, ob wir den jemals live spielen können. Wir wollten, grad weil es uns sehr nahe geht, tatsächlich eine Hommage ans Leben verfassen. Die Hiergeblieben müssen weitermachen, müssen mit der Situation klarkommen. Es sollte nicht zu traurig werden und Hoffnung bieten.
Hattet ihr geplant, das Album vor der Pandemie zu veröffentlichen?
Es war tatsächlich geplant, das Album letzten Frühjahr rausbringen. Obwohl niemand weiss, wie lange der Zustand andauern wird, war es klar, dass wir nicht auf Tour gehen können und so machte es wenig Sinn, ein Album rauszubringen. Viele Bands taten dies und auf einmal wurden im Studio Termine frei und wir konnten an den Songs weiterarbeiten. Das hat dem Album gutgetan. Wir nahmen uns soviel Zeit, wie wir brauchten und waren an keine Termine gebunden.
Habt ihr die Zeit der Pandemie anderweitig genutzt?
Es ist eine schwierige Zeit für alle, nicht nur brach weg, was man gerne macht, es ist auch eine reale, finanzielle Belastung. Man nimmt nicht viel Geld mit einer Platte ein, diese Zeiten sind vorbei. Da fehlen die Konzerte und Touren extrem, glücklicherweise sind wir immer sparsam mit unserem Geld umgegangen und haben ein Polster.
Für Sammy, der das meiste kreative Output hat, war es schwierig in dieser unsicheren Zeit. Es ist lähmend und man versucht über die Runden zu kommen.
Dann seid ihr auf jeden Fall für die Bühnen bereit?
Wann es mit Festivals und dergleichen losgeht, weiss kein Mensch. Aber ich kann so viel versprechen; wenn wir wieder dürfen, dann sind wir bereit und haben Bock.
Wohl mehr als je zuvor.
Ich denke, in zwanzig Jahren wird sich keiner mehr an die faulen Stunden auf der Couch erinnern, sondern an die Wochen und Monate danach. Ich glaube, das wird eine intensive Zeit, da jeder Lust auf Erlebnisse hat und raus möchte. Das wird bestimmt schön.
Was möchtest du den Schweizer Zuhörer*innen und Leser*innen noch mitgeben?
Lasst uns gemeinsam durchhalten, es kann nicht mehr ewig dauern. Irgendwann wird diese Impfkampagne Wirkung zeigen und darauf sollten wir hoffen. Und wenn dann alles wieder gut ist, dann lasst uns mal gemeinsam einen trinken.
Vielen Dank für deine Zeit und Musik.
Interview: Madeleine Fuhrer