19. März 2021
Im Gespräch mit: Katharina Ott-Alavi (Gitarre und Gesang), Karo Paschedag (Bass) und Mary Westphal (Schlagzeug) von 24/7 Diva Heaven.
Foto: Maren Michaelis
Mitte März 2021 haben die Berliner Rockerinnen von 24/7 Diva Heaven ihr erstes Album „Stress“ veröffentlicht. Am Releasetag selbst nahmen sich die drei gutgelaunten Damen Zeit, um mit uns ausführlich über die neuen Songs, die von Ihnen ins Leben gerufene Organisation GRRRL NOISY und ihre Verbundenheit zur Schweiz zu plaudern.
David: Herzliche Gratulation zum Album-Release!
Karo: Danke schön! Wir sind schon seit elf Uhr am Anstossen!
Wie fühlt ihr euch, jetzt wo das erste Album endlich raus ist?
Kat: Sehr gut, sehr aufgeregt, aber auch erleichtert. Wir haben lange darauf hingearbeitet und sind echt froh, dass wir mit dem Ergebnis so zufrieden sind. Jetzt fällt der Druck endlich etwa ab, darum haben wir uns heute auch den Tag freigenommen, um uns zu schminken und zusammen trinken und feiern zu können.
Sind alle Songs neu oder gab es noch welche aus der Zeit der ersten EP „Superslide“?
Karo: Einige Songs hatten wir schon bald nach der EP geschrieben. Davon hatten wir auch ein paar bereits live gespielt, andere wiederum wurden erst in den letzten Zügen vor dem Album fertig. Die sind quasi exklusiv, ohne vorher je live gespielt worden zu sein.
Schreibt ihr die Songs alle zu dritt?
Kat: Weil ich Gitarre spiele und singe, ist es oft für mich am einfachsten, Ideen mitzubringen oder schnell auf der Gitarre eine Melodie hinzubasteln. Ich bringe eine Gesangslinie, eine Melodie oder ein Riff mit und wir arbeiten diese dann im Proberaum gemeinsam aus. Ich frage die andern nach ihrer Meinung und wir schauen, was daraus entsteht.
Karo: Es ist natürlich einfacher, einen Song basierend auf der Gitarre oder auf einer Gesangsmelodie zu schreiben, als am Bass oder am Schlagzeug. Ich werde sicher irgendwann ein Lied schreiben, aber mir liegt das alles so fern. (lacht) Es kommt noch dazu, dass das bei Kat immer wirkt, als ob sie alles einfach aus dem Handgelenk schüttelt.
Wo habt ihr das Album aufgenommen?
Kat: Das war alles in Darmstadt im Wasted Life Studio bei unserem Freund René Hofmann. Bei ihm hatten wir damals auch schon die EP aufgenommen. So richtig old-school, analog und auf Bandmaschine.
In diesen zwei Jahren hat sich Einiges getan. Der Sound auf „Stress“ klingt geschliffener als auf der EP.
Karo: Wenn ich mir eine Demo von einer Band anhöre, dann klingt das oft viel rotziger als das Album, das später folgt. Wir haben mittlerweile einen etwas höheren Anspruch. Klar, war das lustig, fünf Songs für eine EP mit einer analogen Bandmaschine aufzunehmen, aber ein Album soll entsprechend klingen, wenn es auf den Markt kommt.
Kat: So sehr wir alle Retro-Fans und von verschiedenen Epochen musikalisch beeinflusst sind, am Ende des Tages sind wir eine Band in 2021. Ich finde es voll okay, wenn man sich bemüht, eine Platte gut klingen zu lassen und die Standards, die man heutzutage hat, anwendet. Dabei wollten wir nicht vernachlässigen, was es für coole, alte Techniken gibt. Wir nehmen zum Beispiel nach wie vor gemeinsam live auf, das hört man der Dynamik an. Natürlich gibt es trotzdem ein paar Spielereien, aber es ist nicht überproduziert.
Das ist euch sehr gut gelungen, das Album hat immer noch dieses Do It Yourself-Feeling, aber klingt modern. Wie kam es denn zum Titel „Stress“?
Karo: Wenn ich mich im Alltag umschaue, wie viel Stress herrscht da überall? Nicht nur persönlicher Stress im Sinne von „oh ich muss noch Oma anrufen und dieses und jenes machen…“, sondern auch der ganze Stress, der sich durch die Umwelt und dadurch, wie die Welt geschichtet ist, ergibt. Machtverhältnisse und ähnliches sind alles stressgebende Faktoren. Zudem muss sich unsere Generation mit noch so vielen anderen Dingen auseinandersetzen, Gleichberechtigung und Gleichstellung. Das bringt zwar alles richtig viel Gutes, das geht aber nicht einfach locker von der Hand.
Kat: Es ist eine sehr politische Platte. All die Themen, die wir in den Texten behandeln; Sexismus, Homophobie, Rassismus etc., lassen sich sehr gut unter dem Banner „Stress“ zusammenfassen. Es ist fast schon eine Art Lebensgefühl, wie eine Wolke, die über uns allen schwebt. Wir drei sind persönlich sehr vielbeschäftigte Menschen, die immer in Bewegung sind und auch vieles bewegen wollen. Das spiegelt sich schlussendlich in unserem Songwriting-Prozess. Es liess sich einfach sehr viel unter diesem Namen zusammenfassen.
Ein Lied, dass mich textlich als Schweizer interessiert und zu dem ich noch gerne mehr wissen möchte, ist „Topped With Cheese“.
Karo: Eines der ersten Reviews, das wir erhalten hatten, war aus England. Die sind halt Muttersprachler und haben sich wohl verstärkt auf die Texte geachtet. Die waren dann die ersten, die gemerkt haben, dass das ein absoluter Ulk-Text ist.
Kat: Das ist nur Quatsch. (lachen)
Karo: „Meerschweinchen haben keine Schwänze, aber das ist ihnen egal ha ha ha! Müsli und Gehaltserhöhung!“ Da ist kein tiefer Sinn dahinter, vor allem im Vergleich zu den anderen Songs. Wenn man wirklich möchte, könnte man vielleicht reininterpretieren, dass der Song davon handelt, wie es ist, wenn man wegen all dem Stress komplett durchdreht. Wenn allem zu lange ausgesetzt wird, sitzt man irgendwann da und frisst sein Müsli halt mit Käse obendrauf. (lachen)
Kat: Das ist auch etwas, was 24/7 Diva Heaven für mich ausmacht. Wir haben all diese ernsten Themen, nehmen uns aber auch gerne selbst auf die Schippe. Nicht, weil wir uns veralbern oder lächerlich machen wollen, aber weil nicht immer alles schwarz und weiss ist. Das Leben besteht aus Gegensätzen. So folgt auf dem Album auf ein extrem ernsthaftes Stück völliger Quatsch wie „Topped with lecker Schweizer Cheese“.
Es freut mich gerade ungemein, dass ich nach einem solch gehaltvollen Lied gefragt habe. Gibt es sonst noch Songs, die euch am Herzen liegen?
Karo: Für mich wäre das „Head On Collision“, einer der älteren Songs. Den hatte Kat damals geschrieben, als die ganze Trump-Ära begann. Ich weiss noch, wie ich total baff war, als sie mit dem weisen Text ankam. Zusammen mit diesem geilen, punkigen Riff und den kickenden Drums beschreibt dieser Song die merkwürdige Phase, die man mit Trump hatte, richtig gut. Ich werde auch gerne wütend bei dem Song – das ist mein Hauptgefühl und dann kann ich den Song hören, irgendwo dagegentreten und dann geht es mir wieder besser.
Mary: Mir gefallen vor allem „Shamebath“ und „Potface“ sehr gut. Die entsprechen unserer Band: positiv, einfühlend und mit einer guten Aussage. Die machen Bock, einfach mitzugehen.
Karo: Interessant fand ich, dass scheinbar viele Freunde und Fans den Song „Everyman“ total abfeiern. Das ist ja quasi eine Anti-Ballade, wir waren uns nicht einmal sicher, ob wir die überhaupt mit auf die Platte nehmen wollen. Die Erwartungen an 24/7 Diva Heaven sind doch etwas anders. Ich bin aber froh, dass wir das gemacht haben. Und die Reaktionen sind genial. Mein Boss, der zwar das ganze Album geil findet, aber dann bei der zweiten Hälfte, die mit „Everyman“ losgeht, fast dahinschmilzt. Das ist schon eine Überraschung. Ich find’s auch gut, dass wir uns bei dem Song getraut haben, vier Minuten lang dasselbe zu spielen. Den Leuten scheint gar nicht aufzufallen, dass ausser Refrain und Riff eigentlich nichts passiert. Das Stück scheint die Leute einzunehmen und zu paralysieren, das finde ich voll gut.
Ihr habt ja auch eine eigene Organisation ins Leben gerufen, GRRRL NOISY. Könnt ihr dazu mehr erzählen?
Mary: Eigentlich ist es mehr eine Bewegung als eine Organisation. Es ist eine Community, eine Plattform und ein Netzwerk. Wir haben mit Freundinnen zusammen einen Ort gesucht, eine Art Stammtisch, wo sich Musikerinnen und Frauen aus der Szene treffen und vernetzen können. GRRRL NOISY wurde quasi von heute auf morgen ins Leben gerufen. Wir haben ein paar Leute in befreundete Clubs eingeladen, um gemeinsam zu jammen, mit dem simplen Ziel, Musik zu machen. Das ist die Sprache, die uns verbindet. Ganz ungezwungen, jede kann machen, was sie will.
Karo: Für mich geht es vor allem um Empowerment. Trau dich. Egal, ob du gestern erst deine erste Gitarrenstunde hattest und noch nichts kannst, komm vorbei. Hier lacht dich niemand aus und du kannst alles probieren. Auch nur Zuschauen ist völlig okay.
Kat: GRRRL NOISY soll dazu dienen, coole Leute kennenzulernen, die man sich als Vorbilder nehmen kann. Es soll den Personen ein gutes Gefühl verschaffen und Selbstvertrauen aufbauen. Je öfter man etwas macht, desto besser fühlt es sich an. Das merken wir mit unserer Band. In einem Kollektiv ist dieser Effekt noch viel grösser, da sich alle gegenseitig unterstützen.
Das klingt sehr gut. Das sollte es in der Schweiz auch geben.
Mary: Bei uns haben sich bereits Leute aus anderen Städten gemeldet. Es war sehr inspirierend und spannend zu sehen, wie schnell sich in Leipzig ein Kollektiv gefunden hat, das eine ähnliche Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen hat.
Karo: Es muss noch viel passieren. Selbst in meinem Freundeskreis habe ich männliche Menschen, die ich sehr schätze, die aber gleichwohl ein Problem damit zu haben scheinen, dass sie da nicht willkommen sind. Die wissen gar nicht, wie es sich anfühlt, irgendwo ausgeschlossen zu sein. Wenn der Vorwurf laut wird, die Jamsession nur für Frauen sei sexistisch, nervt das. Es ist schade, dass die Gesellschaft sowas immer umdreht. Aber wir wollen irgendwann ein GRRRL-NOISY-Festival veranstalten, da dürfen Männer dann gerne vorbeikommen.
Hoffentlich werden Konzerte bald wieder möglich sein. Ich bin noch etwas skeptisch, ob all die Lockerungen, die zurzeit geplant sind, nicht verfrüht sind.
Karo: Das geht mir ähnlich. Wir alle dachten letztes Jahr, dass das bald wieder vorbei sein wird, trotzdem stecken wir ein Jahr später noch immer im Lockdown. Ein Ende scheint es nicht zu geben, wir müssen also irgendwie schauen, wie wir das Leben in diese neue Situation integrieren. Es gibt immer mehr Menschen, gerade auch Kinder, die psychisch nicht mehr damit klarkommen. Ich befürchte, dass der Zenit langsam erreicht ist.
Mary: Mir hilft dabei immerhin die Musik, ganz viel Musik.
Habt ihr Pläne für die Zukunft?
Kat: Heute hätten wir eine Release-Show gespielt, die jetzt natürlich verschoben wurde. Wir hoffen stark, dass wir im Sommer das Eine oder Andere machen können, draussen und unter Einhaltung aller Regeln. Wir bleiben flexibel und schauen was passiert.
Karo: Wir haben abgesehen von Konzerten immer wieder gute Ideen, wie Kollaborationen. Es muss nicht immer Musik sein, sondern schöne Fotos oder dergleichen. Mit den Hathors hatten wir auch Pläne, vielleicht mal etwas zusammen aufzunehmen. Und wenn gar nichts bleibt, schreiben einfach Songs.
Klasse, dann gibt’s nächstes Jahr schon das nächste Album!
Kat: Na, wir wollen uns jetzt erst mal noch ein Bisschen über „Stress“ freuen. Wir haben da ja wirklich viel dran gearbeitet, das wollen wir jetzt erstmal geniessen.
Karo: Es wird nicht so lange dauern, bis zum nächsten Album. Wir haben uns mittlerweile einen Prozess erarbeitet, der für uns stimmt. Beim nächsten Mal wird das Erarbeiten bestimmt schneller gehen.
Habt ihr noch abschliessenden Worte an uns in der Schweiz?
Alle: We miss you!
Karo: Miss your cheese, miss your people! Meinerseits habe ich nur beste Erinnerungen an die Schweiz, sei es die Bewirtschaftung, die Menschen, die Freunde, die ganze gechillte Art und Weise vom kleinen Nachbarn, wie du das sagst. Ich vermisse die Schweiz!
Kat: Wir wollen auf jeden Fall sehr bald wiederkommen. Wir hatten das grosse Glück, mit den Hathors unsere erste Tour überhaupt spielen zu dürfen. Das ist für immer ein Big Love zur Schweiz und zu den Hathors. Wir freuen uns darauf, wenn es wieder los geht und wir zu euch zurückkommen können.
Ich freue mich. Danke, habt ihr euch die Zeit genommen und danke für die Musik.
Interview: David Spring